Art. 18 OR. Vertragsauslegung betreffend vereinbarte Kündigungsmodalitäten nach Treu und Glauben unter Beachtung des dispositiven Rechts und des Grundsatzes «in dubio contra stipulatorem».
Aus den Erwägungen:
2. - Die Beklagte beschränkt die Berufung in der Sache auf die Auslegung von Ziff. 7 des Untermietvertrags (und die daraus resultierenden Ansprüche). Darin vereinbarten die Parteien: «Für die ersten 12 Monate ist dieser Vertrag fest abgeschlossen, danach kann er unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten auf das Monatsende jederzeit aufgelöst werden.»
Das Bezirksgericht ging mit der Klägerin davon aus, die genannte Auflösungsordnung erlaube eine Vertragsbeendigung nach Ablauf von 12 Monaten, womit die im November 2009 — also im 10. Vertragsmonat — ausgesprochene Kündigung den Untermietvertrag unter Hinzurechnung der Kündigungsfrist von 6 Monaten auf Ende Mai 2010 beende. Dagegen stellt sich die Beklagte auf den Standpunkt, eine Kündigung könne erst ab dem zweiten Vertragsjahr ausgesprochen werden, womit der Vertrag erst auf Ende September des (folgenden) Jahres 2010 beendet worden sei.
3. - Einen tatsächlichen übereinstimmenden Willen der Parteien zur Bedeutung der streitigen Auflösungsklausel hat das Bezirksgericht nicht ausgemacht, was vor Obergericht von beiden Parteien unwidersprochen geblieben ist. Damit beschränkt sich das Berufungsverfahren auf die Rechtsfrage der Auslegung des Vertragsinhalts nach Treu und Glauben (sog. Auslegung nach dem Vertrauensprinzip; Art. 18 OR), da keine Partei das Zustandekommen des Vertrags (vgl. Art. 1 OR) in Frage stellt. Als Vertragswille ist zu betrachten, was vernünftige Parteien durch die Verwendung der fraglichen Wörter ausgedrückt und folglich gewollt haben würden (Urteile des Bundesgerichts 4C.62/2004 vom 5.5.2004 E. 2.2 und 4C.107/2004 vom 17.6.2004 E. 4). In einem ersten Schritt ist der Wortlaut der Klausel auszulegen. Das dabei festgestellte Auslegungsergebnis ist in einem zweiten Schritt im Rahmen des Kontextes zu überprüfen.
4. - Die streitige Auflösungsklausel ist objektiv betrachtet mehrdeutig, indem zwei Lesarten denkbar sind. Sie regelt zwei verschiedene Zeitabschnitte: die ersten 12 Vertragsmonate einerseits, die Zeit «danach» anderseits. Kernpunkt der Mehrdeutigkeit ist das Wort «danach», das zwar unbestreitbar und insoweit eindeutig den Zeitraum nach Ablauf der ersten 12 Vertragsmonate anspricht, sich jedoch zweifach zuordnen lässt: Entweder bezieht sich das «danach» (auch) auf den Zeitraum des vereinbarten Auflösungsmechanismus (dieser tritt nach der Auslegung der Beklagten erst nach Ablauf der ersten 12 Monate in Kraft) es bezieht sich (allein) auf den Zeitraum des möglichen Vertragsendes (Auflösungszeitpunkt als Endergebnis einer Kündigungserklärung gemäss dem Auslegungsergebnis der Klägerin und der Vorinstanz), sodass eine Kündigungserklärung bereits während der ersten 12 Monate wirksam erfolgen kann, auch wenn das Vertragsende in jedem Fall frühestens nach Ablauf der ersten 12 Vertragsmonate eintreten kann. In letzterem Fall ist eine Auflösung auf Ende Mai 2010 möglich, im ersteren Fall nicht, weil der «nächstmögliche Beendigungstermin» unter Berücksichtigung der vereinbarten Kündigungsfrist von 6 Monaten bei einem Vertragsbeginn im Februar 2009 frühestens auf Ende September 2010 zu liegen käme.
5. - Ziffern bieten für sich allein betrachtet im Unterschied zu Wörtern keinen Auslegungsspielraum. Der erste Satzteil der streitigen Klausel, wonach der Vertrag für die ersten 12 Monate fest abgeschlossen wird, ist in sich insgesamt klar, was im Übrigen von keiner Partei angezweifelt wird. Damit steht objektiv die Abrede fest, dass der Vertrag während seiner ersten 12 Monate durch einseitige Erklärung nicht aufgelöst werden kann — es sei denn allenfalls aus ausserordentlichen Gründen, was in casu aber nicht zur Diskussion steht.
Mehrere Überlegungen stützen im Ergebnis die vorinstanzlichen Erwägungen zum Sinn des zweiten Satzteils « danach kann er unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten auf das Monatsende jederzeit aufgelöst werden» in Kombination mit dem ersten Satzteil.
Haben die Parteien unbestritten eine (einseitig) nicht auflösbare erste Mietperiode von 12 Monaten vereinbart (erster Satzteil), steht für den folgenden Zeitraum (zweiter Satzteil) der Umkehrschluss im Vordergrund, dass dies ab dem 13. Vertragsmonat gerade nicht mehr gelten soll. Mit andern Worten ist der zweite Satzteil objektiv so zu verstehen, dass mit Ablauf der ersten 12 Monate eine einseitige Beendigung jederzeit unter Einhaltung der vereinbarten Modalitäten, d.h. auf jedes Monatsende unter Einhaltung einer Frist von 6 Monaten, möglich ist. Durch die Nennung der Zahl 12 mit Bezug auf die Dauer der Unauflöslichkeit hat sich der im zweiten Satzteil vereinbarte Auflösungsmechanismus der zahlenmässig fixierten Mindestmietdauer unterzuordnen. Die Auslegung der Beklagten hätte unter objektivem Gesichtspunkt demgegenüber mit grösster Wahrscheinlichkeit dazu geführt, dass die Auflösungsklausel anders formuliert worden wäre und insbesondere die ihrer Meinung nach massgebende Zahl 19 aufgewiesen bzw. Ende September 2010 als frühestmögliches Vertragsende genannt hätte.
Zudem liegt in der Vereinbarung einer Unauflöslichkeit während der ersten 12 Monate eine Abweichung von der gesetzlichen Ordnung des Art. 266d OR. Die von der Beklagten vertretene Auslegung hätte zur Folge, dass sich die Unauflöslichkeit entgegen dem klaren Wortlaut im ersten Satzteil über die ersten 12 Monate auf 18 gar auf 19 Monate hinaus erstreckt, was aber im Verhältnis zum dispositiven Recht mangels besonderer Umstände nicht angenommen werden darf (vgl. Jäggi/Gauch, Zürcher Komm., Zürich 1980, Art. 18 OR N 447, wonach vom dispositiven Recht abweichende Abreden im Zweifel eng auszulegen sind, BGE 115 II 474 E. 2d S. 479; damit entfernt verwandt ist der Auslegungsgrundsatz in dubio mitius [im Zweifel für die kleinere Belastung]). Auch wenn sich die vorgenannte Lehre und Rechtsprechung in erster Linie auf die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und damit auf einseitig Vorformuliertes bezieht, findet der Grundsatz auch im Rahmen der Auslegung eines individuell ausgehandelten Vertrags Anwendung.
Schliesslich sind keine Umstände ersichtlich, wonach eine Kündigungserklärung während der ersten 12 Monate mit Wirkung nach Ablauf der 12 Monate den Vertragszweck tangieren gar vereiteln würde, was zum Beispiel dann der Fall wäre, wenn eine Partei für die Gegenpartei erkennbar aus offensichtlichen Gründen darauf angewiesen wäre, dass während der ersten 12 Monate keine Kündigungserklärung im Raum stände. Solches wird von der Beklagten denn auch nicht geltend gemacht. Insbesondere behauptet sie nicht, dass eine Kündigungserklärung während der ersten 12 Monate per se ausgeschlossen wäre, sondern stellt sich bloss auf den Standpunkt, dass die erste einseitig herbeigeführte Vertragsbeendigung frühestens auf Ende des 19. Vertragsmonats erfolgen könne unter der mitverstandenen Voraussetzung, dass die Kündigungserklärung spätestens am Ende des 13. Vertragsmonats bei der Gegenseite eintrifft.
6. - Für die Auslegung der Beklagten spricht hingegen, dass die Kündigungsmöglichkeit mit der Frist von 6 Monaten allein im zweiten Satzteil genannt wird, der von der Periode «danach», also nach Ablauf der ersten 12 Vertragsmonate, handelt. Bei rein wörtlicher Auslegung des zweiten Satzteils wäre die Ansicht der Beklagten nicht von vornherein ausgeschlossen, auch wenn das Wort «auflösen» alsdann in «kündigen» umgedeutet werden müsste. Hingegen vermag eine solche Sicht die gegenteilige Auslegung (vgl. die vorstehenden Ausführungen) im Ergebnis nicht umzustossen, zumal die Ziffer 7 des Vertrags insgesamt zu würdigen ist und auch der zweite Satzteil selber eine Abweichung von Art. 266d OR enthält, indem auf jedes Monatsende aufgelöst werden kann. Die Beklagte könnte sich daher nicht auf den Standpunkt stellen, bei der klägerischen Auslegung wäre der zweite Satzteil schlicht überflüssig, was der Beklagten erlaubt hätte, die von ihr vertretene inhaltliche Eigenständigkeit des zweiten Satzteils im Verhältnis zum ersten Satzteil hervorzuheben.
7. - Schliesslich weckt auch die Durchsicht des gesamten Vertrags keine Zweifel am festgestellten Auslegungsergebnis.
7.1. In Erwägung 9.5 des angefochtenen Urteils wird ausgeführt, die Beklagte könne sich nicht auf den Grundsatz «in dubio contra stipulatorem» (im Zweifel gegen die Auslegung des Textverfassers) berufen, wobei nicht mit der notwendigen Deutlichkeit hervorgeht, welcher Vertragspartei das Gericht die Abfassung des Texts zuordnet. Vor Bezirksgericht liess die Beklagte ausführen, die Vertragsbedingungen seien von der Klägerin geprüft und akzeptiert worden, was mittelbar darauf schliessen lässt, sie (die Beklagte) sei zumindest die Mitverfasserin des Untermietvertrags gewesen. In die gleiche Richtung deuten ferner die Ausführungen der Beklagten, X. (damaliges Organ der Klägerin) sei Anwalt und wisse, was er unterschreibe, sowie weiter, der Untermietvertrag sei nach Unterzeichnung durch die Beklagte der Klägerin zur Genehmigung vorgelegt worden. Aufgrund dieser Aktenlage ist die Klägerin jedenfalls nicht als alleinige Verfasserin des Vertragstexts zu betrachten. Entweder haben beide Parteien am Text gearbeitet dann allein die Beklagte, was eine Anwendung der Auslegungsregel «in dubio contra stipulatorem» zugunsten der Beklagten von vornherein ausschliesst.
7.2. Soweit die Beklagte zur Stützung ihrer Auslegung schliesslich allgemein ins Feld führt, die Parteien hätten eine längerfristige Bindung angestrebt, was von der Klägerin aber bestritten wird, fehlen Ausführungen darüber, dass die Parteien im Rahmen der Vertragsverhandlungen im Hinblick auf eine unkündbare Vertragsdauer über bestimmte Monatszahlen sonst wie bestimmte Zeiträume gesprochen hätten, womit es dieser Behauptung im vorliegenden Zusammenhang bereits an der erforderlichen Substanziierung mangelt.
1. Abteilung, 17. August 2012 (1B 12 22)